Unser Schicksal
Unser Schicksal zu beschreiben ist schwer. Deswegen versuche ich es mit einem Tagebucheintrag.


03.04.2007

Ich will versuchen ein paar Zeilen nieder zu schreiben, in der Hoffnung, dass dies für mich eine Hilfe ist.
Es ist schwer, den Schmerz zu beschreiben, der mich zerreißt. Jeden Morgen wache ich auf und das Grauen packt mich wieder.
Auch am Tag, wenn man es am wenigsten erwartet, springt es aus einer Ecke hervor und fällt mich an. Es sitzt unterm Tisch, hinterm Schrank, in Bildern und Kinderwagen, ja sogar beim Einkaufen versteckt es sich in irgendeinem Regal.
Sicher ist der Abstand zu dem Schrecklichen noch nicht sehr gross. Noch keine Woche ist vergangen, und doch habe ich das Gefühl, dass auch 20 Wochen nicht helfen.

Man sagt immer, es ist das Schlimmste für Eltern, wenn ihre Kinder vor ihnen sterben. Es ist sogar das Allerschlimmste. Ich habe meine nicht mal aufwachsen sehen, denn ich habe meine Babys verloren, in der 22. Woche. Durch ein Schicksal, das nur wenige Menschen auf dieser Welt trifft. Es nennt sich Feto-Fetales Transfusionssyndrom und es ist einfach nur ungerecht und kaum begreifbar.
Manche Menschen rauchen, trinken, nehmen Drogen, tun nichts um eine gute Schwangerschaft zu haben und sind auch sonst im Leben zu nichts zu gebrauchen und andere sind bereit ihr ganzes Leben auf einen kleinen Menschen einzustellen, ändern sich und die Lebensgewohnheiten und es ist ihnen doch nur einen kurzen Moment vergönnt, das höchste Glück auf Erden zu spüren.

Ich bin dankbar, dass ich wenigstens diesen Moment auch haben durfte. Abschied nehmen von 2 Babys, die sogar mit 25cm und knapp 300g aussehen wie zwei richtige kleine Menschen mit zehn Fingern und zehn Zehen, mit Auge, Nase, Mund und sogar ein paar kleinen Härchen. Ich war dabei, bei ihrem ersten und auch ihrem letzten Atemzug. Auch das ist sicherlich nicht jedem vergönnt, kann mich aber immer noch nicht trösten.
Ich hoffe, dass es das eines Tages tut.

Unsere 2 Mädchen waren Wunschkinder. Es hat nicht mal lange gedauert, das größte Glück auf Erden zu erschaffen. Letztes Jahr Weihnachten war klar und sicher, dass wir ein kleines Baby haben werden. Und sofort, in Sekunden, verändert sich dein Leben, und du willst es so. Wir begannen zu planen, wie es wird, was man alles vorbereiten muss, welche Namen in Frage kommen. Die Freude war riesengroß.
Natürlich auch bei allen Freunden und Verwandten, es sollte das Leben aller verändern. Damals war ich in der 7. Woche. Es hätte also auch noch viel passieren können, doch darüber denkt man in der Freude nicht nach.

7 Wochen später erhielten wir eine Nachricht, die uns den Atem wegbleiben ließ. Wir bekommen nicht ein Baby, nein, das Glück hatte uns gleich doppelt bedacht. Zwillinge! Im ersten Moment wusste ich nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Zu 70% freute ich mich einfach doppelt und zu 30% kam natürlich die Angst dazu, ob man das überhaupt schaffen kann. Doch diese Angst verschwand so plötzlich, wie sie kam.
Wir begannen unser Leben auf zwei kleine süße Wesen vorzubereiten. Unsere Kinder, unser Fleisch und Blut.

Bei der ersten Feindiagnostik im Krankenhaus ließen uns die beiden Mäuse noch ein wenig im Dunkeln. Eines sollte auf jeden Fall ein Mädchen sein, aber das zweite wollte uns noch nicht so recht verraten, was es wird. Warum dies zu wissen so wichtig ist, sollten wir erst später erfahren.
Fest stand jedenfalls, dass ich jetzt doppelt gut auf mich aufpassen muss und dass man auch die Babys öfter unter die Lupe nehmen muss.
Als ich dann eines Tages ziemliche Schmerzen bekam, ging ich für ein paar Tage ins Krankenhaus, um sicher zu gehen, dass alles in Ordnung ist. Das war es, und auf diesem Wege erfuhren wir, dass auch das zweite Baby ein Mädchen wird. 2 kleine Girlies, wie sagte Dr. Winterroth, mit blonden Haaren, blauen Augen und roten Lippen. Leider werden wir das nie erfahren, denn die Augen haben sie nicht mehr geöffnet.

Ab sofort hatte ich eine Risikoschwangerschaft. Denn aufgrund der späten Feststellung der Zwillingsschwangerschaft wussten die Ärzte nicht ob unsere Mäuse eineiig oder zweieiig sind. Für mich bestand der Unterschied damals nur darin, ob sie gleich aussehen würden, oder ob sie eben doch ganz unterschiedlich voneinander sein würden.
Welche Probleme es in diesem Zusammenhang noch geben kann, mussten wir jetzt schmerzlich erfahren.

Es gibt bei eineiigen Zwillingen, die sich einen Mutterkuchen teilen bei einer!! von 2700 Schwangerschaften einen Defekt in der Plazenta. In diesem Fall gibt es in der Plazenta verbindende Blutgefäße, durch die sich die Babys austauschen. Das heißt, ein Zwilling bekommt viel zu viel Blut, was zu einer Belastung des Herz-Kreislauf-Systems führt und der andere bekommt viel zu wenig, wodurch er unterversorgt wird. Die beiden Zwillinge sind dabei völlig gesund, es liegt nur an der Plazenta, und ob die diesen Defekt hat oder nicht entscheidet  mehr oder weniger das Schicksal. Unser Schicksal.

Es gibt Möglichkeiten, die belastenden Probleme der Babys zu lösen, aber eben nicht in jedem Falle mit einem guten Verlauf. In unserem Falle war es leider trotz der häufigen Untersuchungen zu spät. Das Syndrom trat so schnell auf. Über einen Zeitraum von 14 Tagen wuchs mein Bauch ziemlich schnell. Dennoch sahen wir das alle, auch die Ärzte nicht als Problem, denn bei zwei Kindern muss der Bauch ja irgendwann wachsen.
Eines Morgens wachte ich mit ziemlich starken Schmerzen auf. Sie erinnerten an Regelschmerzen und doch dachte ich, sie werden mit der allgemeinen Veränderung in meinem Körper zusammenhängen.

Wir sind dann morgens, das war am 28. März 2007 zu unserem Frauenarzt gefahren. Als wir einen ersten Blick auf das Ultraschallbild warfen, war uns klar, dass da etwas gar nicht gut aussah. Unsere kleinere Maus war ziemlich weit nach unten ins Becken gerutscht und für den Arzt nicht mehr beurteilbar. Bei einer anderen Untersuchung konnte er die Herztöne noch darstellen, jedoch auch, dass der Muttermund schon belastet war. Wir wurden sofort nach Wismar in die Klinik geschickt. Trotz aller finsteren Minen war ich mir sicher, dass es alles gar nicht so schlimm ist. Auch eine erste Untersuchung im Krankenhaus, gab uns Entwarnung, als jedoch Dr. Winterroth einen ersten Blick auf die Babys warf, konnte ich in seinen Augen erkennen, dass es doch sehr ernst war. Wir sollten sofort nach Lübeck aufgrund der besseren technischen Möglichkeiten dort. Zunächst sollte ich mit dem Krankenwagen fahren, aber er gab uns die Möglichkeit, mit dem eigenen Auto diese Reise anzutreten. Wahrscheinlich hat er gewusst, dass es wichtig für uns sein wird, über die Zukunft gemeinsam nachzudenken. Und doch hatten wir immer Hoffnung.

In Lübeck wurden wir dann noch mal untersucht, zum 4. Mal an diesem Tage. Für mich waren die Untersuchungen schon unerträglich, weil ich solche Schmerzen hatte, und doch war ich bereit noch mehr Schmerzen zu ertragen, wenn es denn nur meinen Mäusen hilft.
Der Arzt in Lübeck bestätigte uns das FFTS. Eine Behandlung ist nur in 3 Kliniken in Deutschland möglich. Eine davon ist Hamburg. Er wollte sofort mit dem zuständigen Arzt Rücksprache halten und uns telefonisch informieren, wann wir nach Hamburg fahren könnten.

Wieder voller Hoffnung machten wir uns auf den Weg nach Hause, freuten uns darüber, dass ich nicht im Krankenhaus bleiben muss. Doch abends wurden meine Schmerzen immer schlimmer. Mittlerweile kamen sie in Abständen, so, wie man das aus dem Fernsehen kennt. Und doch dachte ich immer wieder das können doch keine Wehen sein. Es ist doch viel zu früh.

Wir fuhren also gegen 22 Uhr wieder zurück nach Lübeck. Bei der dortigen 5. Untersuchung wurde uns klar, dass der Muttermund bereits geöffnet ist, und die Gebärmutter sich aufgrund ihrer Größe auf eine Geburt vorbereitet. Dies sollte den Eingriff in Hamburg zunächst unmöglich machen. Also wurde mir sofort ein wehenhemmender Tropf angelegt und ich bekam Valium gegen die Schmerzen. Eine lange Nacht lag vor uns, und der Arzt bereitete mich auch schon darauf vor, dass ich in den Kreißsaal müsste, wenn die Wehen nicht aufhörten. Ich verstand immer noch nicht, was er meinte.

Am nächsten Morgen ging dann alles ganz schnell. Hamburg wollte sich ein eigenes Bild verschaffen und dann den Eingriff durchführen, um uns zu helfen. Also wurde ich mit Blaulicht ins AK Barmbek gebracht und hatte wieder größte Hoffnung. Sogar im Krankenwagen habe ich noch Scherze gemacht und nicht darüber nachgedacht, warum eigentlich eine Hebamme mitfährt.
In Hamburg wurde ich sofort untersucht. Beiden Kindern ging es den Umständen entsprechend gut und der Professor wollte am nächsten Tag um 13 Uhr den Lasereingriff durchführen. Wir hatten es geschafft, dachten wir.
Als zur Vorbereitung noch 2 Abstriche gemacht wurden, erfuhren wir, dass bereits Fruchtwasser austritt und der Muttermund zu weit geöffnet war um den Lasereingriff durchzuführen. Letzte Hilfe: eine Fruchtwasserpunktion. Also stachen sie mir eine große Nadel in den Bauch und füllten eine Flasche nach der anderen. 3,2 l Fruchtwasser entnahmen sie und ließen dennoch 2 Liter für die Babys zurück. Die beiden lagen während des Eingriffs aneinander gekuschelt in meinem Bauch. Doch der Druck war einfach zu groß.

Ich war keine 15 min im Kreißsaal, als die Schmerzen trotz der Medikamente immer größer wurden. Es war kaum zu ertragen, ich fühlte einen riesigen Druck und konnte ihm nicht standhalten. Unsere beiden Mädchen wurden geboren. 29. März, 14:50 Uhr. Beide, ganz schnell.
Unsere kleinere, ihr Name ist Zoe, das bedeutet „Leben“, wollte vielleicht meines retten. Oder wusste, dass ihr Leben keines gewesen wäre, war sofort tot. Unsere etwas größere, ihr Name ist Ruth, das bedeutet „Freundin“, war eine wirkliche Freundin und ließ ihre Schwester nicht allein gehen. Sie versuchte noch Luft zu holen und starb dann in meinen Armen. Und so lagen sie da, auf meiner Brust, wie sich das für gerade geboren Kinder gehört. Ich dachte in diesem Moment gar nicht daran, dass ich sie verloren hatte. Ich war erleichtert, dass die Schmerzen vorbei waren und dass ich sie in meinen Armen halten konnte und sei es nur für diesen kleinen Moment.

Es waren zwei hübsche kleine Mädchen. Alles war so, wie es die Natur für den Menschen vorsieht. Kaum zu glauben, dass sie so früh eigentlich schon „fertig“ sind. Nur leider noch nicht lebensfähig.
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